Die Zukunft ist jetzt — Im Gespräch mit Lars Thomsen
Wir haben mit Zukunftsforscher Lars Thomsen unter anderem über Teslas umstrittene Marketingstrategie, die Macht der Influencer und natürlich über unsere Zukunft gesprochen.
Herr Thomsen, Sie gelten als einer der einflussreichsten Zukunftsforscher im deutschsprachigen Raum und sind auch international eine sehr gefragte Persönlichkeit, wenn es um Zukunftsfragen im Bereich Mobilität und Energie geht. Worauf basiert Ihr eigener Erfolg? Verfolgen Sie eine Strategie in Sachen Eigenvermarktung?
Rückblickend würde ich sagen, dass der „Mut zur Lücke“ eine wichtige Grundlage meines Werdegangs war. Schon im Studium der BWL fiel mir auf, dass Führungskräfte oft nur unzureichende Informationen zu Trends und sogenannten disruptiven Opportunitäten hatten. Ich war neugierig und begann mich intensiv mit Methoden der Zukunftsforschung zu beschäftigen. Damals war Zukunftsforschung weitgehend unbekannt. Ich habe über zwei Jahre hinweg mit fast allen Personen in Europa und den USA gesprochen, die sich auf unterschiedliche Weise mit diesem Thema beschäftigten, und von ihnen mehr gelernt als in meinem Studium. Ich gründete meine Firma dann mit 22 Jahren und fing klein an, aber mit der Zeit kamen immer mehr Unternehmen auf mich zu, die mehr über die Zukunft und die Chancen erfahren wollten. Werbung oder aktive Vermarktung mussten wir für unsere Dienste bislang nie wirklich machen. Die meisten Aufträge ergeben sich über Empfehlungen oder aus unserem Netzwerk.
Sie waren einer der ersten Tesla-Model-S-Fahrer und importierten auch das erste Model 3 aus den USA, als hierzulande die meisten Menschen noch nie vom Model 3 gehört hatten. Was begeistert Sie am meisten an der Marke Tesla?
Als Zukunftsforscher habe ich Tesla und sein Management bereits im Jahr 2006 das erste Mal in Palo Alto besucht und war bereits vom Prototyp des ersten Roadsters sehr begeistert, der dann 2008 auf den Markt kam. Besonders hat mich aber Elon Musk beeindruckt: Ich habe bis heute keinen anderen Menschen getroffen, der so klar und ganzheitlich denken kann und zudem ein begnadeter Erfinder, Unternehmer und Ingenieur ist. Die Marke Tesla funktionierte bislang jedoch ganz anders als andere Marken: Sie verzichtet fast vollständig auf Werbung, macht ihre Kunden zu Fans und Verkäufern und hat mit ihren Produkten und Ideen innerhalb von nur knapp 300 Wochen fast die gesamte etablierte Fahrzeugindustrie umgekrempelt und treibt sie derzeit vor sich her. Mir ist bewusst, dass die Marke Tesla in der Öffentlichkeit sehr kontrovers diskutiert wird, aber das ist eine unglaubliche Leistung.
Wie erklären Sie sich das Phänomen, dass bei Tesla über 500‘000 Reservationen eines neuen Autos eingegangen sind, ohne dass je einer das Auto überhaupt live gesehen hat?
Tesla bietet ein Produkt an, das für viele Menschen Sinn macht: Der Klimawandel ist real, und ein nachhaltiger Umgang mit Energie und Ressourcen ist das Gebot der Stunde für jeden anständigen und zukunftsorientierten Menschen. Ein Tesla bietet die Möglichkeit beim Auto, anstatt Teil des Problems Teil der Lösung zu werden, ohne dabei auf Komfort, Leistung oder Spass zu verzichten – im Gegenteil: Es ist in jeder Beziehung das bessere Produkt gegenüber einem Verbrenner. Jeder, der sich auch nur 20 Minuten mit dem Fahrzeug und den Ideen dahinter unvoreingenommen beschäftigt, erkennt die Genialität und wird zum Fan. Nur so ist der in der Geschichte einmalige Erfolg von über einer halben Millionen Vorbestellungen des Model 3 zu erklären. Und das Produkt erfüllt die Erwartungen: Kein anderes Auto erfreut sich in den USA einer so hohen Kundenzufriedenheit, und auf dem Gebrauchtwagenmarkt finden sich kaum Angebote, obwohl bereits über 300 000 Exemplare ausgeliefert wurden. Und auch hierzulande wurde das Model 3 bereits im ersten vollen Monat seiner Auslieferungen mit Abstand zum meistverkauften Auto der Schweiz.
Wo sehen Sie die Wichtigkeit als Unternehmen Inside-Out zu kommunizieren? Haben Apple und Tesla deshalb so Erfolg, weil sie dieses Prinzip anwenden? Oder worin unterscheidet sich für Sie die Markenkommunikation von Tesla von anderen Autoproduzenten?
Markenkommunikation ist in einem starken Wandel: Der Begriff „Werbung“ wird uns bereits in wenigen Jahren wie ein Relikt aus dem letzten Jahrhundert vorkommen. Zukünftig geht es stärker um Werte, Einstellungen und Verantwortung – auch in der Unternehmenskommunikation. Konsumenten wollen nicht mehr nur plump beworben werden – sie wollen „Teil einer Marke“ werden und von dieser fasziniert sein. Das ging in der Vergangenheit vielleicht noch über Rennsiege oder Product-Placement in einem Agentenfilm, aber mehr und mehr Menschen durchschauen diese Mechanismen nun und suchen nach dem Kern und den Werten der Marke und dem Unternehmen, das dahintersteht. Das schliesst die Persönlichkeiten, Ideen und Storys der Menschen mit ein, die hinter dem Unternehmen stehen. Ein Unternehmen oder eine Marke ohne Gesichter, eigene Werte oder ohne einen eigenen Charakter bzw. eine eigene Story ist nicht nachhaltig.
Sie haben sich als Zukunftsforscher intensiv mit dem „Tipping Point“ auseinandergesetzt. Sehen Sie einen kommenden „Tipping Point“ im Bereich der Markenkommunikation? Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang die Stellung von Influencern?
Influencer übernehmen gerade die Funktion und Reichweiten von klassischen Print-Titeln- und TV-Kanälen. Allerdings wird der Verdrängungswettbewerb und Qualitätsdruck auch immer stärker – und mittelfristig werden sich einige wenige, aber gute Influencer genügend Publikum nachhaltig sichern können, um daraus ein nachhaltiges Geschäft zu machen. Ich denke aber, dass in einem heutigen Marketing-Mix das Geld für Influencer-Marketing einen recht guten Erfolgsbeitrag bringen kann. Klassische Medien kopieren jetzt sogar das Influencer-Schema, mit mehr oder weniger gutem Erfolg. Von einem Tipping-Point würde ich in diesem Zusammenhang allerdings nicht sprechen, eher von einer Ergänzung und Verschiebung der Instrumente der Markenkommunikation. Werte, Qualität, Story, Produkt und Authentizität – all das muss zusammenpassen und entsprechend von der Kommunikation von innen und nach aussen ganzheitlich umgesetzt werden.
Was müssen wir in der Kommunikation ändern, damit wir das Publikum auch morgen erreichen können?
Kommunikation wird vielschichtiger und bidirektionaler. Es gibt keine „One-size-fits-all“-Kommunikationskonzepte mehr. Vielmehr geht es um die Kompetenz, ein breites Spektrum an Kanälen, Plattformen und Ebenen bespielen zu können, auf denen Kommunikation zwischen Unternehmen, Konsumenten, Mitarbeitern, Stakeholdern und Öffentlichkeit zukünftig stattfinden wird. Doch eines bleibt wohl auch in Zukunft gleich: Menschen suchen ständig nach Storys und Momenten, die sie begeistern. Etwas, was ihr Herz und ihre Seele berührt. Sie wollen teilhaben und sich begeistern können für eine Gemeinschaft, eine Idee oder gemeinsame Ziele und Werte. Dies sollte man in den Fokus der Betrachtungen setzen, um auch in Zukunft erfolgreiche Kommunikation zu machen.
Nun sind wir und unsere Leser natürlich sehr neugierig zu hören, was „the next big thing“ in unser aller Leben sein wird. Werden wir zukünftig zu Hause Roboter als Butler haben, Solarpanel-Böden in den Städten vorfinden oder gar mit dem Flugtaxi zur Arbeit fliegen?
Wir bei future matters beobachten derzeit so viele Trends und mögliche Durch- und Umbrüche wie noch nie zuvor in den letzten 28 Jahren unserer Arbeit. Das kommende Jahrzehnt wird wohl tatsächlich zahlreiche der oben angedeuteten Innovationen zu etwas recht Alltäglichem in unserem Leben machen.
Wichtig ist, wie wir unsere Einstellung zu Innovationen und der Zukunft managen: nämlich ob wir Veränderung als Bedrohung oder als Chance verstehen. Innovationen haben sich in der Vergangenheit immer dann durchgesetzt, wenn sie unser Leben einfacher, sicherer und besser gemacht haben. Zwar argumentieren manche Zweifler gern, dass „früher alles besser“ gewesen sei – eine These, die sich meiner Meinung bei genauerer Betrachtung nach nur schwer halten lässt. Wir Menschen haben aber die unglaubliche Fähigkeit, uns mittels unserer Kreativität und Fantasie Innovationen und Ziele zu schaffen, die wir in Zukunft gern erreichen möchten. Es waren diese Ideen, Wünsche und Utopien, die uns schon in der Vergangenheit geholfen haben, unser Leben zu verbessern und herauszufinden, was und wohin wir wirklich wollen. Für alle, die Raum und Zeit finden, diese Fähigkeit und ihre Neugier täglich zu nutzen, ist diese Zeit eine der spannendsten, die man sich nur vorstellen kann
Lars Thomsen gehört zu den weltweit führenden Zukunftsforschern. Der 1968 in Hamburg geborene Trend- und Zukunftsforscher gilt als einer der einflussreichsten Experten für die Zukunft der Energie, Mobilität und Smart Networks. Seit seinem 22. Lebensjahr berät er als selbständiger Unternehmer Firmen, Konzerne, Institutionen und regierungsnahe Stellen in Europa bei der Entwicklung von Zukunftsstrategien und Geschäftsmodellen der Zukunft.
Published 28.03.2019 © Brandsoul AG
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